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März 2007

Ich mag Musik nur, wenn sie laut ist

Musik macht Spaß. Je lauter desto besser. Wer will da schon hören, dass seine Ohren auch mal Ruhe brauchen – um auf Dauer gesund zu bleiben.

Frank Thiede sitzt entspannt auf seinem Stuhl, die E-Gitarre auf den Knien. Ein langer Nachmittag als Gitarrenlehrer liegt hinter ihm. Kein Mensch käme auf den Gedanken, dass der studierte Musiker einen ständigen Begleiter im Ohr hat. Seit zwölf Jahren leidet er unter Tinnitus. So nennt man ein Dauergeräusch im Ohr. Ein Klingeln, Summen oder Pfeifen, das immer da ist, auch nachts, wenn man schlafen will. Frank hat im Laufe der Jahre gelernt, mit dem Tinnitus zu leben, ihn weitgehend zu ignorieren. „Am Anfang wird man fast verrückt. Aber man muss damit klar kommen, da hilft alles nichts. Ich bin nur froh, dass ich trotzdem meinen Beruf ausüben kann.“ Bei ihm, wie bei vielen seiner Musikerkollegen, ist der Tinnitus die Folge jahrelangen überlauten Musikkonsums. „Als ich vor 30 Jahren anfing, selbst Musik zu machen, hat noch niemand über Gehörschutz nachgedacht. Wenn du jung bist, ist das kein Thema, das dich wirklich interessiert. Erst wenn das Klingeln in den Ohren nach den Proben und Auftritten nicht mehr aufhört, bekommst du Angst – und dann ist es zu spät.“

Einmal kaputt, immer kaputt


Tinnitus ist, wie andere Hörschäden auch, nicht heilbar. „Der Mensch hat pro Ohr 18.000 Hörzellen. Das ist seine einmalige Grundausstattung. Werden sie geschädigt und sterben ab, gibt es keine neuen. Hörzellen können nämlich nicht nachwachsen“, erklärt Professor Eckhard Hoffmann von der Hochschule Aalen. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Hörvermögen von Jugendlichen. „Jeder vierte junge Erwachsene hat heute schon einen Hörschaden.“ Auch Professor Hasso von Wedel von der HNO-Universitätsklinik in Köln betreut immer jüngere Patienten mit Tinnitus und verminderter Hörfähigkeit. „Die Hörgewohnheiten der jungen Leute haben sich geändert und die Hörschäden nehmen eindeutig zu.“ Haupt-gründe sind seiner Meinung nach der tägliche laute Musikkonsum per MP3-Player und HiFi-Anlagen, kombiniert mit regelmäßigen Discobesuchen und die Belastung durch zusätzliche Lärmquellen, zum Beispiel während der Arbeit. „Das Gehör hat kaum noch Ruhephasen, die es dringend braucht, um sich von diesen Belastungen zu erholen“, so von Wedel. Die Folge: Schon bei jungen Menschen sterben die feinen Hörzellen langsam ab. Das Fatale für die Betroffenen: Sie merken lange Zeit nichts. Hörschäden entwickeln sich langsam, tun nicht weh und wenn man sie selbst bemerkt, ist es zu spät für eine Heilung.

Ein einziger Knall genügt


Gelegentlicher lauter Musikgenuss ist in der Regel kein Problem für die Ohren. Gönnt man ihnen nach dem Rockkonzert oder dem Discobesuch eine mindestens 24-stündige Ruhepause, erholen sie sich wieder, und dem nächsten Musikgenuss steht nichts im Wege.
Anders sieht die Sache bei so genannten „Knallen“ aus. „Unter Knallen verstehen wir Akustiker einmaligen, kurzen und sehr lauten Impulslärm. Zum Beispiel Silvesterböller, die direkt neben dem Ohr gezündet werden, das Abfeuern von Spielzeug- oder Schreckschusspistolen und laute Trillerpfeifen. Ein einziger Knall kann ausreichen, um das Gehör innerhalb einer tausendstel Sekunde um 50 Jahre altern zu lassen. Diese schallverursachten Hörschäden werden sehr unterschätzt und begleiten den Betroffenen ein Leben lang“, erklärt Eckhard Hoffmann, der viele Hörschäden von jungen Leuten auf solche Knalle im Kindesalter zurückführt. „Hier herrscht ein großer Aufklärungsbedarf“, meint auch sein Kollege Hasso von Wedel.

Beide Experten betonen, dass schon Kinder und Jugendliche lernen sollten, eigenverantwortlich mit Freizeitlärm umzugehen. „In der Schweiz gibt es Lärmaufklärung als Unterrichtsfach. Davon sind wir in Deutschland leider noch weit entfernt“, so von Wedel.

Frank Thiede jedenfalls wäre froh, wenn ihn jemand vor 30 Jahren auf die Gefahren von zu lauter Musik und die Möglichkeiten, seine Ohren zu schützen, aufmerksam gemacht hätte: „Heute benutze ich einen individuell angefertigten Gehörschutz mit eingebautem 20-Dezibel-Filter, um mich vor weiteren Gehörschäden zu schützen. Außerdem habe ich gelernt, dass man Musik auch leiser hören kann. Es muss nicht immer die volle Dröhnung sein.“


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